FEDERICA GÄRTNER
GEORGETTE MAAG
MIRA O'BRIEN

«DRAWING Part 2»

  • «Orte 16», Farbstift auf Papier,90.5x128cm, 2014
  • «Orte 19», Farbstift auf Papier, 90.5x128cm, 2014
  • «Orte 10», Farbstift auf Papier, 90.5x128cm, 2014
  • «Wandernde Ecke»4-teilig,Leinölfirnis, Graphit auf Papier,je 50 x 70 cm, Gesamt 104 x 144 cm,2014
  • «Ortung»Öl, Graphit auf Papier,46 x 65 cm, 2005
  • «Ortung L03»Leinöl, Graphit auf Papier,46 x 65 cm, 2005
  • «Imperfect Barrier: Razor II»watercolor, ink, gouache on paper113 x 170 cm, 2015
  • «Imperfect Barrier: Razor II», Detail
  • «Imperfect Barrier: Corralled»glass, oil paint, wood, plastic, spot lighteach panel 140 x 41 cm, 2014
Eröffnung Samstag, 02. April 2016, 17.00–20.00 Uhr
Finissage Samstag, 30. April 2016, 12.00–16.00 Uhr

Öffnungszeiten während der Ausstellung

Di / Mi / Do
Sa
14.00–18.00 Uhr
12.00–16.00 Uhr
oder nach Vereinbarung

Die Künstlerinnen sind am 2., 23. und 30. April anwesend.

 

Selbstbewusst ist der Auftritt der Arbeiten, die wir in allen drei Räumen des Lokals sehen. Gross­formatig sind fast alle, einige geradezu monumental. Nichts Flüchtiges oder Vorbereitendes haftet ihnen an, wie man das noch bis vor kurzem dem Medium Zeichnung impliziert hätte. Ohne Zweifel sind das Endprodukte eines künstlerischen Prozesses.
Farbe tritt kaum in Erscheinung und definiert sich fast ausschliesslich über die Materialigkeit,
die auch das Weiss des Papiers miteinschliesst. Auch der zeichnerischen Geste scheinen alle drei Künstlerinnen zu misstrauen, tritt sie doch fast vollständig zurück in ihren Arbeiten und ist allenfalls noch in Spuren zur Erzeugung von Flächen erkennbar.
Als weitere Gemeinsamkeit finden die Künstlerinnen Inspiration im Aufspüren von Unspekta­kulärem. Alltägliches, memoriert, fotografiert oder gefilmt, wird Ausgangspunkt ihrer künstlerischen Arbeit.

Federica Gärtner zeigt aus ihrem Werkzyklus, den sie lapidar «Orte» nennt, acht grossformatige Farbstiftzeichnungen. Auf Reisen fotografiert sie Verstecktes und Unscheinbares. Hinterhöfe können das sein, Abschrankungen oder Gitter, in die Fluchtlöcher geschnitten wurden.
Später projiziert sie ausgewählte Sujets auf Papier und zeichnet diese mit Farbstiften akribisch nach, lässt dabei aber grosse Flächen und Durchblicke offen. Aus dem Kontext genommen, verlieren die übrig geblieben Elemente ihre Räumlichkeit und werden schwebend und körperlos. Vorder- und Hintergrund lösen sich auf. Nur selten wirft ein Objekt Schatten. Beim Betrachten sind wir versucht, zu füllen, was fehlt und neu zu ordnen, was da ist. So recht gelingen will uns das aber nicht. Zu ungewohnt wirkt scheinbar Vertrautes. Zäune und Tore werden noch abweisender, weil nicht mehr ersichtlich ist, was sie abgrenzen.
Rosen waren das noch vor kurzem, stabil und ein Hingucker ohne Zweifel. Jetzt sind es Hagebutten, die gefährlich, auf viel zu dünnen, verdorrten Stängeln balancieren. Bei weitem bedrohlicher ist das anzusehen als der Stacheldraht darunter, der ihnen immerhin einen gewissen, wenn auch prekären, Halt gibt. In jedem Augenblicken kann dieses fragile Gebilde in sich zusammenstürzen. In solch labilem Gleichgewicht schweben diese aussergewöhnlichen Bilder.
Als BetrachterIn lassen wir uns anstecken von der Neugier der Künstlerin, jedes scheinbar noch so  unbedeutende Detail zu sehen und in seinem Kontext zu überprüfen.

Georgette Maag wird vor allem als Foto- und Videokünstlerin wahrgenommen. Dabei spielt auch bei ihr die Zeichnung eine wichtige Rolle, die sie über viele Jahre ihres Schaffens begleitet, wenn diese auch in Ausstellungen selten in Erscheinung tritt.
Verschiedene Graphit- und Öl-Sorten sind die bevorzugten Materialien der Künstlerin. Das in Öl gebundene Graphit überträgt sie in einem sehr physischen Akt Schicht um Schicht auf kräftiges Papier. Das Öl bindet nicht nur den Graphit, es durchdringt auch das Papier und lässt dieses hart und pergamenten erscheinen und lässt es kontinuierlich vergilben. Im Zusammenspiel mit den unterschiedlich schimmernden Grautönen des Graphits generiert das die Farbigkeit dieser Blätter.
Einige weisen Schuhabdrücke von unachtsamen Betrachtern aus einer früheren Präsentation auf. Die Künstlerin akzeptiert sie und retouchiert nicht, ebenso wenig wie andere Spuren, die von früheren Hängungen, Transporten oder der Lagerung stammen. Diese sind, bei der delikaten unfixierten Oberfläche, auch bei grösster Sorgfalt in der Handhabung, kaum zu verhindern und gehören, ebenso wie das Vergilben des Papiers, zum Lebensprozess dieser Werke.
Die Zeichnungen entstehen oft in grösseren Serien und so werden sie in der Ausstellung auch nicht isoliert gezeigt. Aufgereiht zu Bändern oder architektonisch anmutenden Gebilden geschichtet, erinnern sie an Wolkenkratzer, Fensterdurchblicke, Strassenschluchten oder Horizonte – Bausätze für wachsende Stadtlandschaften von stupender Präsenz.

Augenfällig sind die thematischen Anknüpfungspunkte der Arbeiten von Mira O’Brien zu jenen von Federica Gärtner. Ganz verschieden jedoch sind in ihre Ausdeutungen.
Gitterzäune sind der Ausgangspunkt für ihre umfangreiche Werkserie «Imperfect Barriers», die aus sehr grossformatigen Aquarellen und installativen Arbeiten besteht. In urbanen Landschaften überall anzutreffen, verortet sie die Zäune als Schnittstelle und Symbol festgefügter Strukturen, die gleichwohl oft durchbrochen und nur notdürftig wieder verschlossen werden. Ein Akt unfreiwilliger Interaktion zwischen Ausgrenzenden und Ausgegrenzten.
In ihren Aquarellen, welche die Gitter lebensgross abbilden, verwebt sie die Durchbrüche zusätzlich, indem sie der Szenerie Bildebenen hinzufügt, bis keine konkrete räumliche Zuordnung mehr möglich ist. Die vormals klare Struktur verliert ihre Rigidität und wird zu einem anarchischen Muster, welches Interpretationen über das Davor und Dahinter offen lässt.
Keine Zweifel über die räumlichen Bezüge lässt die Künstlerin in ihrer dreidimensionalen Arbeit «Imperfect Barrier: Coralled» zu. Stacheldrähte, aufgemalt auf gebrauchte schmale Glasplatten, werfen Schatten in eine Ecke. Als BetrachterIn stehen wir mitten drin in der Installation – gefangen in einem Schattenspiel, das an Platons Höhlengleichnis denken lässt. Nicht nur werden wir unserer Dreidimensionalität und Individualität beraubt, wir sind auch Störefriede in dieser hauchzarten aber beklemmenden Inszenierung.

Michael Nitsch, März 2016