SANDRA KÜHNE
DANIEL SCHUOLER
LYDIA WILHELM

Eröffnung Freitag, 1. September 2017, 17–20 Uhr
Finissage Samstag, 30. September 2017, 13–16 Uhr

Öffnungszeiten während der Ausstellung

Mo / Di / Do
Sa
14–18 Uhr
13–16 Uhr
oder nach Vereinbarung

Die KünstlerInnen sind an der Eröffnung und an der Finissage anwesend. 

 

Am Rand
Der Titel suggeriert es, die «grosse Geste» wird in dieser Ausstellung kaum anzutreffen sein. Erwartet man von bildender Kunst nicht, dass sie sich möglichst prominent in Szene zu setzen versucht? Diesem Diktum widersetzen sich Sandra Kühne, Daniel Schuoler und Lydia Wilhelm nicht immer, wie man noch sehen wird, aber immer wieder und so trifft man ihre Werke überall in den Räumen, auch an den Rändern.

Leichtigkeit ist ein Attribut, das einem in den Sinn kommt, wenn wir das Lokal betreten. Es sind betont sinnliche und intime Arbeiten, denen wir begegnen, ohne (vordergründigen) politischen Anspruch, den man in zeitgenössischer Kunst heute oft findet, ja geradezu erwartet und der diese oft so bemüht macht. Die hier gezeigte Kunst könnte gut auch ohne seitenlange erklärende Saaltexte auskommen (und macht dieses Handout somit zu einem Paradox).

Die Leichtigkeit nimmt man mit ins Kabinett und wirkt hier noch verstärkt. «Entspannte Wunderkammer» nennt sie Daniel Schuoler humorvoll. Hier treffen wir auch auf die ersten Bodenarbeiten. Auf kleinem Raum begegnen sich Werke aller drei KünstlerInnen in einem wunderbaren – und eben ent­spannten – Dialog.

Sucht man ein Element, das alle Arbeiten zusammenhält, ist es die Linie, die sich wie ein Faden durch die Ausstellung zieht.
 

Verschiebungen
Aus Linien generiert Lydia Wilhelm ihre grossformatigen Zeichnungen. Mit einfachsten Mitteln, einer Schablone aus Plexiglas, setzt sie in kleinen, versetzten Abständen Rechteck an Rechteck. Geometrische Exaktheit ist nicht das Ziel und so wechseln sich hellere Stellen und Verdichtungen ab. Diese können mitunter so dicht werden, dass das Papier «müde» wird und aufraut. Es entstehen kleine Täler, schimmernd von überlagertem Graphit. Man kann das schon als kleinstmögliche Dreidimensionalität sehen. Optisch entfalten die Blätter ohnehin eine frappierende Räumlichkeit. Modullierungen nennt die Künstlerin diese Bilder. Es könnten auch tektonische Verschiebungen sein.
Der Everest wandert, lesen wir in einer anderen Arbeit. Drei Zentimeter hat er sich verschoben von den gewaltigen seismischen Stössen (auch sie werden in Linien gemessen und dargestellt) des letzten Erdbebens, das die Region des Himalayas so zerstörerisch heimgesucht hat. In Worten ausgedrückt also ebenfalls eine kleine Verschiebung, aber was für Kräfte waren hier am Werk und mit welchen Folgen für die Umwelt?

Zum ersten Mal zeigt die Künstlerin auch eine kleine Auswahl an Studien. Die Rhythmisierungen sind noch statischer, die Strukturen fester gefügt.

Im Kabinett entdecken wir drei kleine gefaltete Papierarbeiten. Hier ist die Räumlichkeit nicht mehr nur angedeutet oder illusionistisch. Als probe es den Aufstand, bäumt sich das Papier spielerisch auf.
Starke Arbeiten aus dem Werk einer Künstlerin, das fast ganz ohne Farbe auskommt.

Abhängigkeiten
Scheinbar beiläufig, und doch sehr präzise, sind die kleinen, federleichten Inszenierungen von Daniel Schuoler gesetzt. Skulpturen, die in einem labilen Gleichgewicht verharren. Nichts ist fest gefügt, nur lose zusammengestellt, gelegt und manchmal zusammengesteckt. Man nimmt wahr, dass es die feinen Drahtgebilde (Linien im Raum) sind, die diese Welten im Innern zusammen halten.

Trotz Fragilität und kleinem Format haben die szenisch wirkenden Installationen aber auch etwas Monumentales, weil man sich in sie hineinversetzen möchte. Sich klein machen und sie umwandernd entdecken. Immer von Neuem verändert sich dann die Szenerie. Erscheinen aus einem bestimmten Blickwinkel die feinen Linien das dominierende Element zu sein, tritt aus einem anderen Winkel plötzlich die kleine weisse Skulptur in den Fokus. Dann nämlich, wenn sie vor den farbigen Hintergrund tritt. Man ist versucht, in den kleinen Gebilden realistische Elemente zu suchen, einen Torso vielleicht. Aber auch sie sind ganz beiläufig, mit wenigen Knetungen in der Hand, entstanden und hinterfragen den idealisierten Schöpfungsprozess von Kunstwerken und deren Autorenschaft.

Im Kabinett werden wir Zeuge einer weiteren, hier nicht tektonischen, Verschiebung. In einer der beiden Installationen ist es nicht die Drahtkonstruktion, welche die weisse Skulptur trägt, sonder genau umgekehrt. Einen Moment lang steht die Welt Kopf und lässt uns nachdenken über Verbindlichkeiten und Abhängigkeiten.

Subjektive Kartographie
Alles ist Linie im Werk von Sandra Kühne. Begibt sich die Künstlerin auf eine Wanderungen zu Land und, mit dem Schnorchel, im Wasser, merkt sie sich den Weg, um diesen, zurück im Atelier, aus der Erinnerung nachzuzeichnen und als feine Linie auszuschneiden. Man ist verblüfft über die Exaktheit ihrer Erinnerungen und den verschlungen Pfaden, welche die Künstlerin geht.

Der Wind bläst ihr ins Haar, lässt sie Freiheit spüren. Sie notiert sich diese Erinnerung (Sprache ist wichtig in ihrem Werk), zerschneidet das Papier in Streifen, verklebt diese versetzt und lässt uns teilhaben an diesem poetisch nachempfundenen Erlebnis.

Im Untergeschoss dann die Überraschung. Hier ist sie, die «grosse Geste». Wir tauchen buchstäblich ein, in die Welt von Sandra Kühne, wie sie es auch getan hat während ihres mehrmonatigen Studienaufenthalts in Saudi Arabien, wo sie die Unterwasserwelt des Roten Meers entdeckt hat. Verblüffende optische Eindrücke und Salzwasser werden zu Mitgestaltern vieler weiterer Arbeiten. Papier wird mit Meerwasser getränkt, das aus unterschiedlichen Tiefen stammt, direkt von der Oberfläche bis zu einer Tiefe von 1900 Metern aus so genannten «Deep Sea Brine Pools», wo der Salzgehalt besonders gross ist. Auf das so vorbereitete Papier lässt die Künstlerin blaue Tusche oder Wasserfarbe tropfen. Das Salz bestimmt den Prozess des Zerfliessens der Farben massgeblich mit. Beim Trocknen der Blätter bilden sich, je nach Salzgehalt des Wassers, grössere und kleinere Salzkristalle, die hier auf den blauen Wänden schillernd glitzern.

Bedingt durch die hohe Luftfeuchtigkeit des Raums und das Salz auf dem Papier, verflüssigen an Stellen mit hohem Salzgehalt die Salzkristalle und lassen die Wasserfarbe fliessen – die Arbeit lebt.
Eine Inszenierung von überwältigender Sinnlichkeit, in die uns die Künstlerin sogar hinein bittet.

Michael Nitsch, August 2017