PIRMIN NÄF

Federn

Vor gut zehn Jahren, 2002, erschien Pirmin Näf mit einer Mappe unter dem Arm in der Graphischen Sammlung der ETH. Er breitete mehrere seiner Zeichnungen von Federn aus, die sofort faszinierten. Das Präzise in der Erfassung der Details war es, was einem gleich ins Auge stach.

Die Zeichnungen von Pirmin Näf könnte man als das Ergebnis wissenschaftlichen Zeichnens charakterisieren. Pirmin Näf hat zwar an der ETH im Bereich der Umweltnaturwissenschaften studiert und abgeschlossen. Als wissenschaftlicher Zeichner ist er weder ausgebildet, noch war diese Fachrichtung sein erklärtes Ziel.

Aber Greifvögell faszinierten ihn schon seit langem. Er beobachtete sie nicht nur in der Natur, sondern begann von ihnen Federn zu sammeln. Diese wiederum zeichnete er später mit äusserster Detailtreue ab.

Seit dem Beginn der modernen Wissenschaft, seit dem frühen 16. Jahrhundert, kennt man die illustrative und dokumentarische Darstellung wissenschaftlicher Sachverhalte. In enger Zusammenarbeit mit Naturwissenschaftlern entwickelten Künstlerinnen und Künstler, d.h. wissenschaftliche Illustratorinnen und Illustratoren spezielle Bilder für den wissenschaftlichen und auch für den populärwissenschaftlichen Gebrauch. So lieferte beispielsweise Martha Seitz in den Jahrzehnten nach dem 2. Weltkrieg für Bildhandbücher zu Pilzen und Pflanzen präzise Illustrationen. Ihr Bruder, der einst an der ETH studiert hatte, wollte denn auch, dass ihr zeichnerisches Oeuvre in die Graphische Sammlung der ETH kommen sollte. So konnten vor knapp drei Jahren, im Rahmen der Ausstellung «Der Natur», Zeichnungen von Martha Seitz neben solchen von Pirmin Näf gezeigt werden.

Solche wissenschaftliche Zeichnungen sind immer auch Abbild des jeweils aktuellen wissenschaftlichen Denkens und deren Methoden. An der Schnittstelle von Wissenschaft und Öffentlichkeit übernimmt das wissenschaftliche Zeichnen die wichtige Aufgabe der anschaulichen Vermittlung komplexer Inhalte an interessierte Laien und macht so Forschung einem breiten Publikum zugänglich. Gegenüber der Fotografie konnte sich diese Form von Zeichnung bis heute sehr wohl behaupten. Wenn bei der Fotografie durch die nicht zu verhindernde Schattenbildung gewisse Partien nur schlecht oder gar nicht sichtbar sind, kann die Zeichnung in solchen Bereichen die Schattierung bewusst zurücknehmen, ohne die plastische Wirkung allzu sehr zu vermindern.

Wissenschaftliches Zeichnen, bzw. die didaktische und wissenschaftliche Illustration wird heute nur noch an der Hochschule Luzern Design und Kunst gelehrt.
 «Durch eine Vielzahl handwerklicher Methoden erarbeiten die Studierenden ein Repertoire an Darstellungstechniken, ein hohes Mass an Detailtreue und die damit verbundene wissenschaftliche Verbindlichkeit. Andererseits werden die tradierten Bildsprachen wissenschaftlicher Illustrationen kritisch befragt und auf ihre Funktion und Wirkung im aktuellen Kontext überprüft» So beschreibt Roland Hausheer, Dozent an der Hochschule Luzern, dieses Fach.

Neben Pirmin Näf und Martha Seitz war noch eine dritte Zeichnerin in der Ausstellung «Der Natur» vom Sommer 2010 ausgestellt: Cornelia Hesse-Honegger. Nach dem Vorkurs an der Kunstgewerbeschule Zürich (1960–61), liess sie sich zur naturwissenschaftlichen Zeichnerin am zoologischen Institut der Universität Zürich ausbilden. 1968 entstanden erste künstlerische Darstellungen mutierter Laborfliegen. Sie dokumentieren bereits ihre zunehmende Beunruhigung bezüglich Umweltfragen. 1987, ein Jahr nach der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl, reiste sie nach Schweden, in Westeuropa jene Region mit der grössten Belastung durch radioaktiven Niederschlag. Sie sammelte, zeichnete und malte Insekten. Mit ihren präzisen Aufzeichnungen sensibilisiert Cornelia Hesse-Honegger zwar ihr Publikum für schleichende Prozesse der Umweltzerstörung, gerät dadurch aber zunehmend in ein Spannungsfeld von Wissenschaft und Kunst, zumal der Zusammenhang zwischen deformierten Käfern und Radioaktivität nicht immer ganz eindeutig hergestellt werden kann. Als sie einst im Gelände des Paul Scherrer-Institutes in Villigen Zeichnungen von Käfern machen wollte, wurde ihr das nicht erlaubt.

Illustratoren geniessen im angelsächsischen Raum einen ganz anderen Stellenwert als in Mitteleuropa. Beatrix Potter etwa, die Erfinderin des Peter Rabbit, ist in England nicht nur sehr berühmt, ja so etwas wie eine Nationalheilige. Ihre Zeichnungen sind in der Tate Britain nämlich permanent ausgestellt. Auch in Mitteleurope könnte man Illustratorinnen und Illustratoren sehr wohl kennen. Wer hat in der Schweiz nicht schon einmal die Heidi-Geschichte von Johanna Spyri, insbesondere die beiden Silva-Bände mit den kleinen farbigen Einklebebildchen in der Hand gehabt? Wer weiss schon, dass die Illustratorin, die sogar im Rhätischen Museum in Chur volkskundliche Studien betrieb, um beispielsweise Heidis Schlitten «richtig» zu zeichnen, Martha Pfannenschmid heisst? Diese Basler Künstlerin, die 1999 fast hundertjährig starb, verdiente einst ihr Brot als wissenschaftliche Zeichnerin des kriminaltechnischen Dienstes von Basel-Stadt. Auch Martha Seitz hat neben ihrer Tätigkeit als wissenschaftliche Zeichnerin für Jugendschriften Geschichten illustriert. Dennoch wundert man sich nicht, warum Martha Pfannenschmid, Martha Seitz oder auch Pirmin in Dem Kunstlexikon, im Lexikon des Schweizerischen Institutes für Kunstwissenschaft, bis heute kaum angemessen erwähnt werden, wenn überhaupt.

Die Ausstellung, «Pirmin Näf. Federn, die fliegen» in «gastspiel» – Raum für Interventionen und Impulse kann dazu einen kleinen Beitrag leisten, dass der Ruf von Pirmin Näf noch etwas weiter in die Öffentlichkeit dringt. Verdient hat er es ohne Zweifel.

Paul Tanner, Leiter Graphische Sammlung ETH Zürich

 

Federn, die fliegen

Die Natur ist ein starkes Element im Leben von Pirmin Näf. Speziell angezogen fühlt er sich von Vögeln. So war es naheliegend, ein Studium der Umweltnaturwissenschaften zu absolvieren. Dieses schliesst er ab, merkt aber bald, dass er die Natur nicht nur wissenschaftlich erfassen will.

Auf ausgedehnten Wanderungen sammelt er Federn und beginnt diese zu zeichnen. In unspek­takulärer Technik, mit Bleistift, Farbstift und wenig Aquarell, entstehen in langer Arbeit Blätter von grosser Dichte und Intensität. Andere sind offener und schwebend leicht. Hin und wieder lässt er eine Zeichnung unvollendet – «Non-finito» – stehen, die dann ganz offen das feine Geäst der Vorzeichnung stehen lässt. Auch bei fertiggestellten Zeichnungen geht es nicht immer darum, die Vorzeichnung ganz zu überdecken.

Diese meisterhaften Arbeiten haben die Qualität von wissenschaftlichen Zeichnung und jede von ihnen kann in ornithologischen Publikationen Verwendung finden, was sie auch immer wieder tun. Näf ist kein Unbekannter in diesem Umfeld.
Was sie darüber hinaus auszeichnet, ist die emotionale Nähe zum Sujet, die Überwindung der wissenschaftliche Distanz. So detailgetreu sie auch gezeichnet sind, nie geht es ihm um ein blosses Abbild des Originals, immer lässt er sich auf eine Interpretation ein. Das zeichnet dieses eigenständige Werk aus, das an einer Schnittstelle von Wissenschaft und Kunst steht und damit in einer langen Tradition von Naturabbildungen wie zum Beispiel jenen von Maria Sibylla Merian (1647–1717), Ernst Haeckel (1834–1919) oder auch Karl Blossfeldt (1865–1932).
Pirmin Näf hat sich nie auf gängigen Kunstpfaden bewegt. Nie hat er sich darum gekümmert, wie zeitgenössische Kunst zu entstehen, und wie sie auszusehen hat. Wenn aber vieles von dem, was heute im Fokus steht, schon bald vergessen sein wird, bleiben diese Zeichnungen von zeitloser und unvergänglicher Schönheit.

Michael Nitsch, Februar 2013

 

CV

 
1969

geboren in Luzern

aufgewachsen in Schongau

1989 Matura in Beromünster
1990–96 Studium der Umweltnaturwissenschaften an der
ETH Zürich
seit 1997 in Zürich

 

Einzel- und Gruppenausstellungen (Auszug)

2013 «gastspiel», Anna-Heer-Strasse 14, 8057 Zürich
2012 Die Waldkathedrale. Ein Kulturtag, Beromünster
2011 Kulturzentrum «Il Foce», Lugano
2010 Graphische Sammlung der ETH Zürich, Zürich
2010 Naturmuseum St. Gallen, St. Gallen
2009 Projekt «Transit 09», Herrenhaus Grafenort, Grafenort
2007 Landesbibliothek Mecklenburg-Vorpommern, Schwerin
2003 Fabrik für Gestaltung, Hochdorf
2002 Galerie Leuenberger, Zürich
2001 Museum Ciäsa Granda, Stampa
2000 Seetaler Poesiesommer, Schloss Heidegg, Gelfingen
1999 Dachstock-Atelier Bahnhof, Glarus
1999 Kulturarchiv Oberengadin, Chesa Planta, Samedan
1998 Naturmuseum Solothurn, Solothurn
1997 Polyart, ETH Zürich, Zürich