GIANIN CONRAD
SEBASTIAN UTZNI

«GLAUBEN», 30. August bis 29. September 2018

Eröffnung

Donnerstag, 30. August 2018, ab 18 Uhr
Achtung: Die Vernissage findet ausnahmsweise am Donnerstag und nicht am Freitag statt.

Finissage Samstag, 29. September 2018, 13–16 Uhr

Öffnungszeiten während der Ausstellung

Die Ausstellung kann auch nach der Finissage auf Anfrage besichtigt werden bis
6. Oktober 2018

Mo / Di / Do
Sa
14–18 Uhr
13–16 Uhr
oder nach Vereinbarung

Die Künstler sind an der Eröffnung und an der Finissage anwesend.

 

Eine Ausstellung mit dem Titel «Glauben» auszurichten ist heutzutage nicht ganz unproblematisch. In einer Zeit, in der religiöse Konflikte wieder überall verstärkt auftreten und die Intoleranz gegenüber anders Denkenden zunimmt. Glauben – ein simples Wort mit vielen Konnotationen. Woran glauben wir? An Gott und die unbefleckte Empfängnis? An Management-Diagramme oder an die ewige Jugend? Oder daran, dass nur die Kunst oder die Philosophie die Menschheit weiter bringen können?Die beiden Konzeptkünstler Gianin Conrad und Sebastian Utzni, die hier zum ersten Mal zusammen ausstellen, geben tiefgründig-spielerische Antworten auf Fragen, wie diese.

Wenn wir das LOKAL betreten, sticht uns zuallererst ein grosser ovaler Leuchtkasten ins Auge. Die Formen sind klar, die Kanten scharf. Er erinnert vage an Werke konkreter Kunst. Die Arbeit von Sebastian Utzni trägt den Titel «New St. Gallen Management Model». Der Titel verschleiert nichts. Entwickelt wurde das Diagramm dieses Management-Modells, an der Hochschule St. Gallen als Gestaltungsrahmen für Führungskräfte, um (Zitat): «... das eigene Unternehmen als ganzheitlich zu erkennen und daraus Probleme zu identifizieren und zu lösen». Ein Glaubens-Modell des späten 20. Jahrhunderts also, das bis heute in ungezählten Firmenrestrukturierungen zur Anwendung gekommen ist. Den Begriffen beraubt, die darauf platziert waren, wird das leuchtende Objekt zur reinen optischen und ästhetischen Projektionsfläche.
Rechts davon erkennen wir, an die Wand gelehnt, ein flaches Objekt, das aussieht, als wäre es aus Ton modelliert und noch ganz frisch. «Am Anfang schuf Gott» nennt Gianin Conrad seinen Werkzyklus, bestehend aus sieben bemalten Terrakotta-Tafeln. Ganz archaisch und ohne klare Vorstellung was er vorhat, scheint dieser «Gott» ans Werk gegangen zu sein. Wild und gestisch sind seine Fingerübungen. In der Mitte hat die Tafel ein Loch. Als Sinnbild des göttlichen Funkens oder – was noch viel weiter zurück führen würde – des Urknalls? Steht es für die Leere, die war, bevor alles entstand? Eine weitere Tafel scheint ihren Platz schon gefunden zu haben und liegt prominent im Raum. Die verbleibenden fünf Tage der Schöpfung stehen beiläufig in einer Nische und warten auf ihre Bestimmung. Hier ist das Material für eure Welt, um die Ausgestaltung müsst ihr euch selber kümmern, scheint uns dieser «Gott» gesagt zu haben. Und in der Tat gestaltet und unterwirft der Mensch die Erde bis zum heutigen Tag in einer Weise, die wenig Raum für Optimismus lässt.

Fast sakral ist die Stimmung im Kabinett, besonders wenn das Abendlicht durch das hohe Fenster fällt. Auf dem Boden liegen diverse Teppiche und ein Sitzkissen. Darauf, sorgfältig arrangiert, vier Plastiken, die sich formal den BetrachterInnen nicht auf den ersten Blick erschliessen. An ein futuristisches Raumschiff oder ein Schädelfragment erinnert die grösste davon. Die drei anderen sind noch schwerer zu lesen. «Hohlräume» nennt sie Gianin Conrad. Es sind die spirituellen Leerräume, die entstehen, wenn Gläubige der drei grössten Weltreligionen beten. Kniend, mit dem Kopf auf dem Boden, nach Mekka ausgerichtet, die Moslems. Die Hände verschränkt im Gebet, nach Osten ausgerichtet, die Christen und die sich berührenden Mittelfinger und Daumen, bei den Buddhisten, die an keine Himmelsrichtung gebunden. Conrad materialisiert diese Hohlräume und lässt sie, durch entsprechende Bemalung, Fleisch werden und von innen leuchten. Alle drei grossen Weltreligionen betend vereint auf kleinstem Raum. Wird so etwas jemals vorstellbar sein?
In einem Langzeitprojekt sucht Seabstian Utzni weltweit Orte auf, die in irgend einer Weise geschichtlich aufgeladen sind, ohne dass davon heute noch etwas direkt sichtbar ist. «Cours de Miracles» nennt er diesen Werkzyklus. Ohne fotografische Allüren hält er diese mit seinem Smartphone fest. Die geschichtlichen Hintergründe werden den Fotografien in Blindprägungen mitgeliefert.
Wir sehen zum Beispiel die Freiheitsstatue stehen, wo wir sie nicht erwarten. Der französische Bildhauer Frédéric-Auguste Bartholdi offerierte dem Amerikanischen Volk zur 100-Jahrfeier der Deklaration seiner Unabhängigkeit eine Freiheitsstatue. Diese ist heute, wie man weiss, das Wahrzeichen der USA. Die Originalvorlage dafür wurde aber nicht mehr gebraucht. Die Stadt Colmar (die Heimatstadt Bartholdis) wusste nichts damit anzufangen und hat sie irgendwann in einen Verkehrskreisel gestellt. Gibt es ein schlimmeres Schicksal für ein Kunstwerk? Eine andere Fotografie zeigt eine Szene badender Menschen an einem Fluss, dahinter eine unscheinbare Brücke. Es ist die Schweinebrücke in Biederitz (ehemals DDR). 1970 exhumierten und kremierten drei sowjetische Offiziere die sterblichen Überreste Adolf Hitlers und streuten die Asche von dieser Brücke in den Fluss. Ob die friedlich Badenden wissen, dass hier das grösste Scheusal der Menschheitsgeschichte endgültig bestattet wurde? Das sind nur zwei Beispiele von 16, die es zu enträtseln gilt. Es lohnt sich!

Im Untergeschoss leuchtet es grün und rot. Wir stehen vor einem Labyrinth aus grellgrün bemalten rohen Ästen, das Gianin Conrad inszeniert hat. Es erinnert an Warteschleifen die wir von Flughäfen kennen. An der linken Seitenwand leuchten Neonröhren, die einen Weg zu markieren scheinen. Wir können die Wandinstallation von Sebastian Utzni (ein Schema, das eine Auftragsabwicklung darstellt) aber nur näher betrachten, wenn wir uns entschliessen, den scheinbar absurden Weg durch das Labyrinth zu gehen. Gradlinigkeiten werden hier keine offeriert.
Die aufwändige Inszenierung, die als Essenz des Zusammentreffens beider Künstler gesehen werden kann, ist schön anzusehen und gleichzeitig rätselhaft. Steckt hinter der Farbgebung eine Symbolik? Gemahnt sie uns an Absurditäten und Leerläufe im täglichen Leben, denen wir uns oft nicht oder nur mit Mühe entziehen können?

Michael Nitsch, August, 2018