ERICH BRÄNDLE
ANDREA GYSLING
HANSPETER KELLER
STEFAN VOLLENWEIDER

«Drawing Part 1», 28. März bis 24. April 2015

  • ANDREA GYSLING, «Fluchtwege», Tusche auf Japanpapier,  70 x 90 cm, 2015
  • ERICH BRÄNDLE, «Kouroi», Kugelschreiber, 24x16 cm, 2013
  • ERICH BRÄNDLE, «Veronese», Kugelschreiber/Aquarell, 21x30 cm, 2009
  • ERICH BRÄNDLE, «Meister Bertram», Tusche/Gouache 23x21, 1973
  • ANDREA GYSLING, «Fluchtwege», Tusche auf Japanpapier,  70 x 90 cm, 2015
  • ANDREA GYSLING, «Fluchtweg», Tusche auf Japanpapier,  70 x 90 cm, 2015
  • HANSPETER KELLER, «ohne Titel (Entität Nr. 42016)», Diptychon, Kohle auf Papier, je 80 x 100 cm, 2015
  • HANSPETER KELLER, «ohne Titel (Entität Nr. 42030)», Diptychon, Kohle auf Papier, je 100 x 80 cm, 2015
  • STEFAN VOLLENWEIDER, «Plan (Haus am Wasser)», Illustrator, Tusch, Bleistift, Tipex, Fotokopie, DIN A4
  • HANSPETER KELLER, «ohne Titel (Entität Nr. 42030M)», Graukarton, 37 x 15 x 21 cm, 2015
  • STEFAN VOLLENWEIDER, «Plan (Haus im Blitzlicht)», Illustrator, Tusch, Bleistift, Tipex, Fotokopie, A4
  • STEFAN VOLLENWEIDER, «Genua», Illustrator, Tusch, Bleistift, Tipex, Fotokopie, DIN A4

 

Eröffnung   Samstag, 28. März 2015, ab 18 Uhr
Ausstellung   28. März bis 24. April 2015
Finissage   24. April 2015, 17.30–20.00 Uhr

Öffnungszeiten während der Ausstellung

Di / Mi / Do    14–17.30 Uhr
oder nach Vereinbarung

Die Künstlerin und die Künstler sind am 28. März und am 24. April anwesend.
Sie und Ihre Freunde sind herzlich eingeladen.

 

Es sind grosse Arbeiten, die wir sehen, wenn wir den Kunstraum betreten. Geradezu monumental jene im Durchgang zum Kabinett. Einige scheinen eher fotokopiert, als gezeichnet zu sein. Auch Dreidimensionales ist vertreten in dieser Ausstellung. Und das sollen alles Zeichnungen sein?

Wurde die Zeichnung über lange Zeit eher als vorbereitendes und begleitendes «Nebenprodukt» für spätere Arbeiten wahrgenommen und in Galerien selten losgelöst von diesen ausgestellt, erlebt das Medium gerade eine erstaunliche Wiederbelebung im zeitgenössischen Kunstdiskurs. Mit ein Grund ist, dass sich der Blickwinkel stark erweitert hat, was als Zeichnung verstanden wird und sich längst nicht mehr nur auf kleinformatige, zweidimensionale Arbeiten auf Papier beschränkt. Daneben
existieren auch schon länger Phänomene wie «Urban Sketching», wo sich ZeichnerInnen in  Online-Communities austauschen.

Die vier hier auftretenden KünstlerInnen nutzen die «Zeichnung», die hier bewusst in Anführungen gesetzt ist, auf sehr unterschiedliche und selbstbewusste Weise für ihre künstlerische Arbeit und treten in einen spannungsvollen Dialog.
 

Der Maler Erich Brändle blickt auf ein jahrzehntelanges künstlerisches Schaffen zurück. Als profunder Kenner der Kunstgeschichte reflektiert er dieses Wissen oft mit Bildzitaten in seiner Arbeit. «Alte Meister» könnte denn auch diese Werkgruppe, die aus vier Jahrzehnten stammt und fast seine gesamte Schaffenszeit umspannt, übertitelt werden.
Um simples Kopieren von Meisterwerken geht es Brändle natürlich nie. Manchmal genügt ihm eine Schulter- oder Beinpartie, die er studiert oder es interessiert ihn der Rhythmus einer Figurengruppe, die er auf demselben Blatt mehrfach wiedergibt und überprüft. Von einem Werk von Meister Bertram ist noch ein Liniengeflecht an der Grenze zur Abstraktion übrig. Es entstehen neue, eigene Bilder. Keine grossen Gesten hier. Was wir sehen, ist intensive Auseinandersetzung und der Respekt vor den Leistungen anderer und genau so stehen wir vor diesen Blättern.
Stilistisch entsprechen diese Arbeiten am ehesten dem, was wir unter Zeichnung verstehen. Aber Vorsicht ist auch hier geboten. Brändle arbeitet an diesen kleinen Werken, von den viele nur scheinbar in einem «Non-finito» belassen sind, ebenso sorgfältig, wie an seinen Ölgemälden. Sie sind ihm in seinem Werk auch ebenso wichtig.
 

Anders als Brändle ist Andrea Gysling relativ spät zur Kunst gekommen. In kurzer Schaffenszeit ist es ihr gelungen, eine beeindruckende und eigenständige Bildsprache zu entwickeln, die bewusst auf Farbe verzichtet. Schwarze Tusche genügt ihr. Diese trägt sie mit Pinsel, Feder sowie in Tusche getränkten Pflanzenbüscheln auf sehr feines, aber widerstandsfähiges Japanpapier auf.
Ihre Bildelemente findet die Künstlerin auf alten Patentzeichnungen von Automobilen, Dampf­maschinen oder Fluggeräten.  Auch florale Elemente sind wichtig und, seit sie die «Himmelsstürmer»-Serie des Hendrick Goltzius dank der Graphischen Sammlung der ETH Zürich für sich entdeckt hat, tritt neu auch der Mensch (oder Teile von ihm) ins Bild. Das eigentliche Übertragen und Verweben des gefundenen Bildmaterials geschieht in einem akribischen und, wie man annehmen muss, sehr zeitintensiven Prozess. Der Furor, den sie dabei in ihren Bildern entfacht, sucht seinesgleichen. Kein Wunder, werden die Bildträger in diesem heftigen Entstehungsprozess immer wieder in Mitleidenschaft gezogen, was die Künstlerin bewusst in Kauf nimmt.
In der vierteiligen Werkgruppe «Fluchtwege» reflektiert Gysling ein Thema, das aktueller nicht sein könnte. Durch einen stillgelegten Tunnel werden Körperteile von Menschen und Tieren regelrecht hindurchgesogen. Wohin die Flucht führt ist nicht auszumachen. Ein Licht ist nicht zu sehen am Ende des Tunnels und man ahnt, ein Entrinnen wird es nicht geben.
 

Gefragt nach seiner Einstellung zu seiner Kunst, genügen Hanspeter Keller zwei Wörter: «ironische Ernsthaftigkeit». Schalk und Lakonie sprechen auch aus seinen Bildtiteln: «ohne Titel (Entität Nr. 42030)». Mit anderen Worten, die Bilder haben zwar keine Namen, sie existieren aber und es scheint schon einige von ihnen zu geben. Erklärt ist damit natürlich nichts. Selber schauen und schlau werden heisst das wohl.
Wie Gysling ist auch Keller ein Spätberufener. Seit 15 Jahren entwickelt er ein versponnenes, vorwiegend zeichnerisches Werk. Daneben betreibt er sein Miniaturmuseum «Depot der nicht ausgeführten Kunstwerke». Ausprobieren kann er da und ungeniert auch schon mal die grosse Geste üben. Entrümpelt ist das Museum schnell und Fragen nach kostspieliger Lagerung und Konser­vierung sind auch keine zu beantworten.
Das Spielerische in dieser gestalterischen Methodik soll aber nicht über die Ernsthaftigkeit hinwegtäuschen, mit der Keller seine Arbeiten entwickelt und ausführt. Oft baut er für seine grossformatigen Zeichnungen, wie den hier gezeigten, zuerst Modelle, von denen eines hier ausgestellt ist. Diese dreidimensionalen Skizzen hegt und pflegt er sorgsam, denn er braucht sie nicht nur zum räumlichen Studium. Später kommen sie alle in sein Museum.
 

Das künstlerische Schaffen von Stefan Vollenweider ist geprägt von einem ständigen Fluss. Als ich sein kleines Atelier betrat, war mein erster Gedanke: Das Ganze ist eine «Zeichnung». Das Prozesshafte, Flüchtige und Provisorische, ist, wie er sagt, prägend für seine Arbeit. Wie lässt sich das fassen und in diese Ausstellung integrieren? Es war sinnvoll, dem Künstler dafür freie Hand zu lassen.
Aus einem riesigen Fundus von Filmen, Fotografien, Texten, Ton und früher Gefertigtem, entstehen bei Vollenweider immer neue Konstellationen, die sich gleichsam im Raum festsetzen und an den Wänden kondensieren. So unprätentiös im Einsatz der Materialien und der Mittel, so präzise werden diese Bild­findungen wenn sie sich hier im Kabinett manifestieren. Die eigentlich störende Klappe des Heizungsreglers wird ebenso Teil der Arbeit, wie das kleine, hochgelegene Fenster, das Licht spendet für sein «Haus im Blitzlicht».
Unverkauft werden nach vier Wochen alle Elemente seines Ausstellungsbeitrags wieder zurück­gehen in den Fundus. Bereit für neue Materialisierungen. Zeichnen ist für Vollenweider, im Kontext dieser Ausstellung, ein fortlaufender Prozess. Wo er hinführt, bleibt offen.

MICHAEL NITSCH, März 2015