ANNA NEBEL

 

Eröffnung   Samstag, 30. Mai 2015, ab 18 Uhr
Ausstellung   2. Juni bis 25. Juni 2015
Finissage   26. Juni 2015, 17.30–20.00 Uhr

Öffnungszeiten während der Ausstellung

Di / Mi / Do    14–17.30 Uhr
oder nach Vereinbarung

 

MIRROR LAND – Der Spiegel ist mir verdächtig

Anna Nebel im Gespräch mit Volker Schunck
Das Gespräch fand kurz nach Einrichtung der Ausstellung in Zürich statt. Wir sassen im Ledersofa und der Gastgeber Michael Nitsch hatte uns ein Glas Weisswein offeriert...

VS: In den bisherigen Arbeiten hast Du dich vor allem mit Fotografie auseinandergesetzt. In der aktuellen Ausstellung scheinen Fotoarbeiten eher eine beiläufige Rolle zu spielen...

AN: Ja, ich habe schon Neuland betreten, vergleichbare Arbeiten hatte ich bisher noch nie realisiert. Installationen und die «Lack-auf-Spiegel» Arbeiten prägen das Gesicht der Ausstellung. Dennoch steht die Fotografie am Ausgangspunkt von «Mirror Land». 2013 unternahm ich die Spiegel-Wanderungen. Ich wanderte mit Rucksack, Kamera und grosser Tragetasche mit einem randlosen 40 x 50 cm Spiegel durchs Hochgebirge und platzierte ihn an unterschiedlichen Orten und Positionen: ich legte ihn auf den Boden, steckte ihn in Grashügel, Schneereste oder in Felsspalten. Zu verschiedenen Jahreszeiten machte ich Spiegel-Stellungen auf der Glattalp oder dem Alpstein, manchmal auch im Wald oder im Unterland.

VS: Was hat Dich daran so interessiert?

AN: Eine gute Frage. Da kam Verschiedenes zusammen... Vielleicht war es eine List, dass ich mir einen Auftrag schuf, alpine Wanderungen zu unternehmen... (lacht). Natürlich ist das nicht alles. Mich interessierte etwa die Simultanität von Vor- und Rücksicht, das Bild-im-Bild Konzept, die Gleichzeitigkeit von Schärfe und Unschärfe. Manchmal wusste die Kamera nicht wie fokussieren...
Diese Arbeiten stehen auch im Zusammenhang einer früheren Werkreihe mit Wasserspiegelungen – den «Fluidalen». Das fotografisch scheinbar abgegriffene Thema interessierte mich in seiner Umkehrung, d.h. in dem ich mit umgekehrter Kamera fotografierte, das «Spiegelbild» auf den Kopf stellte und den «realen» Bildteil aussparte. Die Unschärfen, Störungen und Farbbrechungen waren auch eine Auseinandersetzung mit der Malerei.

VS: Spiegel und Spiegelbilder sind ja hochkomplexe Cluster der Kulturgeschichte und der Anthropologie.
Der Spiegel begleitet die frühesten Tage der Menschheitsgeschichte. Seit ihren Uranfängen ist der Spiegel bzw. der Blick aufs Wasser das erste visuelle Medium, das die Selbstwahrnehmung und die Wirklichkeit reflektiert – im doppelten Sinn. Der Spiegel im Mythos (Narziss), in der Magie, im Märchen, in der Optik.
Die Widerspiegelung als Referenz jeglicher realistischen Aesthetik, als Konzeption des Bildes schlechthin. Der Spiegel in der Architektur, der Technik, dem Verkehr, der Warenwelt...
Und der Spiegel in den künstlerischen Avantgarden. Ich denke etwa an Robert Smithson, an Rebecca Horn...

AN: Ich kenne beider Werke und schätze sie ausserordentlich. Insbesondere Robert Smithson am Schnittpunkt von Land Art und Konzept Kunst, ein wunderbarer Künstler. Leider ist er vorzeitig gestorben, als er 1973 mit dem Kleinflugzeug beim Fotografieren abstürzte. Die Spiegel-Wanderungen im Hochgebirge verstehen sich auch als Hommage an Smithson – ich dachte immer wieder an seine Spiegel-Arbeiten, die er Anfangs der 70er Jahre auf einer Reise zusammen mit seiner Frau Nancy Holt und Carl André in Mexiko realisierte.

VS: Ich frage mich, ob nicht die Spiegelwelten, auch die künstlerischen, im digitalen Zeitalter zunehmend problematisch oder gar obsolet erscheinen könnten? Der Spiegel ist ja sozusagen das Urmedium analoger Wahrnehmung und Abbildlichkeit. Heute ist das Handy- Selfie zum globalisierten Selbstbildnis geworden...

AN: Diese Fragen haben mich auch beschäftigt und beschäftigen mich immer noch ohne zu einem Schluss zu kommen – die Arbeiten, die ich für diese Ausstellung realisierte, versuchen diese Spannung aufzunehmen. Mit jeder Spiegelarbeit versuchte ich auch gegen die Spiegelung anzugehen, sie mit verschiedenen Mittel zu hintertreiben... Der Spiegel ist mir verdächtig – so reizt es mich, ihm die Spiegelung zu vergällen, sie auszutreiben bis auf einen interessanten Rest.

VS: Was wäre da der interessante Rest?

AN: (hält inne, überlegt)..... In den «Lack-auf-Spiegel» (LAS) Arbeiten sind die überwiegenden Partien der Oberfläche von Industrielacken, schwarzen oder weissen, bedeckt. Die verbleibenden Schlitze und Aussparungen komprimieren Raum, Licht und Farben. Die Spiegel werden erst interessant durch die Restfragmente des Raumes, der Umgebung. Der Spiegel an sich ist charakterlos, er ist immer das andere, ist Umgebung, ist Kontext. Auch kam es mir darauf an, seine glatte Kälte, die kühle Perfektion und Gleichgültigkeit zu unter­laufen. Manchmal verspürte ich auch ikonoklastische Gelüste – den Griff zum Hammer.

VS: Zumindest in einer Arbeit hast Du ja real zum Hammer gegriffen. Ich denke da an die Spiegel-Erde Installation des «Gartens» mit den zertrümmerten Weinflaschen, die als faszinierend-gefährliche
Gewächse in der Erde stecken...

AN: Ich würde nicht empfehlen, Sie zu berühren oder zu pflücken. Sie sind so etwas wie böse Blumen. Wie Du bemerkt hast, handelt es sich um grüntonige und weisse Gewächse. Ein blauer Flaschen­splitter ist auch dabei mit Assoziationen an die «blaue Blume», dem Sehnsuchtsmotiv der Romantik. Obschon kitschig, berührt es mich immer noch.
(hält inne.....)
Es ist gar nicht so einfach Weinflaschen zu zertrümmern. Sie sind erstaunlich stabil. Meist braucht es mehrere Hammerschläge. Die Idee war, die Flaschen so zu zertrümmern, dass der Hals in die Erde gesteckt werden konnte und der bauchige Rest als eine Art Blütenkelch herausragte. Die Flaschen zerbarsten zumeist bis zum Halsansatz. Dann natürlich das Faszinosum der Verdreifachung in der Eckstellung der beiden Spiegel. Ein Viertel Garten ergänzt sich zum erdigen Rundum. Aus zwölf «realen» Blumen werden 48.

VS: Kannst Du noch etwas zu den anderen Skulpturen bzw. Installationen sagen?

AN: Da wäre im gleichen Galerieraum noch die Skulptur «Between» – sie besteht aus zwei zugewandten Spiegeln, zwei Schraubzwingen und zwei puffernden Distanzgummis. Der Titel verweist auf die unendliche Raumentfaltung im schmalen Dazwischen. Es sind räumliche Simulacra, geklonte Unendlichkeit, die sich im Sog der Dunkelheit verliert. Entscheidend ist der Abstand zwischen den beiden Scheiben, damit sich eine maximale räumliche Spannung einstellt – wie ein elektrisches Feld zwischen polaren Membranen. Die Arbeit gefällt mir in ihrer minimalistischen Einfachheit; auch dass die Spiegelung bereits in der Paarigkeit der Materialien und Funktionen angelegt ist. Die Schraubzwingen pressen die beiden Spiegel zusammen und sind zugleich ihre Stützen.

VS: Kommen wir zum hinteren Raum, der etwas dämmerig wirkt...

AN: Der hohe Nebenraum mit dem kleinen Fenster unter der Decke ist nicht unwesentlich an der Entstehung der beiden Installationen beteiligt. Er regte mich an, hier etwas mit künstlichem Licht zu machen. In einer schlaflosen Nacht kamen mir fast gleichzeitig die Ideen zu beiden Arbeiten. Der weisse Schemel, der Zinkeimer mit der blauen Glühbirne, die beinahe den Wasserspiegel berührt bzw. «küsst», ergeben den «Narziss». Der Boden des Zinkeimers ist mit einer dicken tiefschwarzen Lackschicht bedeckt, die fast drei Monate zum Trocknen brauchte.

VS: Und die Charette mit dem leuchtenden Salzhaufen, dem «Gletschermobil»?

AN: Die Idee eines leuchtenden Gletschers stand am Anfang. So kam es zum Salzhaufen mit der hineingesteckten Inspektionslampe. Der herausragende Spiegel ist derjenige, den ich auf den Spiegel-Wanderungen im Hochgebirge mitnahm. Er ist sozusagen schon alpin «imprägniert».
(Hält inne, schaut auf die Uhr) Hast Du noch weitere Fragen auf Lager?

VS: Ja, schon, wenn Du noch ein wenig Zeit hast. Könntest Du noch etwas sagen zu den beiden grossen Lack-Bilder mit den Titeln «Letzte weisse Flecken» und «Vorletzte weisse Flecken»? Sie sind mir nicht nur wegen ihres ironischen Titels aufgefallen. Mir ist nicht ganz klar, wieso sie unter «Mirror Land» figurieren?

AN: (schmunzelt) Hoffentlich gefallen sie Dir auch noch, wenn Du weißt, was als Bildträger herhalten musste...

VS: Ja, das ist eine schwarze Plastikblache aus Polyethylen...

AN: Das ist richtig. Doch wenn Du die Rückseite der Blache lesen könntest, wäre schnell klar, dass
es sich um alles andere als einen kunstüblichen Bildgrund handelt. Bei der Arbeit an der «Lack-auf-Spiegel» Werkreihe deckten aufgeschnittene Abfallsäcke den Werktisch ab. Die kleinformatigen
LAS Arbeiten sind durchweg als «Malerei ohne Pinsel» konzipiert mit jeweils wechselnden Verfahren. Die ablaufenden oder abgedrückten Farbreste landeten auf dem schwarzem Plastik, das ich nach zwei bis drei realisierten LAS jeweils wechselte. Sie sind gleichsam im «spiegelnden» Abdruckverfahren der anderen Arbeiten entstanden.
Sie erinnerten mich an unbekannte «weisse» Archipele. Der ganze Film der arktischen und
antarktischen Expeditionen im 19. / 20. Jahrhundert lief in mir ab – die heroischen, imperialistischen Machounternehmen der Briten, Norweger mit meist tragischem Ausgang. In diesem Zusammenhang ist auch ihr Titel zu lesen, der aber ambivalent genug ist, um ebenso auf den Kontinent der Malerei
zu verweisen....
Da wäre noch einiges zu sagen, doch wir müssen hier aufhören. Ich muss noch packen, das Flugzeug wartet nicht....

VS: Wünsche Dir einen angenehme Reise. Lasse von dir zu hören, wenn Du wieder in Annapolis bist. Das Wetter ist sicher besser als hier...